Wählt Hartfried Ackermann! Jetzt!
Neulich in Jena. Die wöchentliche Kolumne auf jenanews.de. Von Hartfried Ackermann. – Gestern fuhr ich mit meinem Auto auf der Stadtrodaer Straße stadteinwärts. Vor lauter Wahlplakaten übersah ich mehrere rote Ampeln, was aber keine schlimmen Konsequenzen nach sich zog, denn den anderen in meine Richtung fahrenden Verkehrsteilnehmern erging es ähnlich.
Zielstrebig fuhren wir mit Tempo 70 (zuzüglich der obligatorischen zehn Km/h zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit) Richtung Innenstadt.
Doch plötzlich stoppte der Verkehr. Grüne Aktivisten besetzten die Fahrbahn und hinderten mit lustig ineinander verkeilten Fahrrädern die Autofraktion an der Weiterfahrt. Der totale Stillstand – unglaublich. Und das mitten in der Krise und noch dazu im Berufsverkehr! Nach und nach verstummten die Motoren. Damit aber niemand vom entsetzlichen Gezwitscher unserer gefiederten Freunde genervt wurde, erschallte aus jedem PKW auf Höhe der Oberaue ein anderes Geräusch. Radio, CD, streitende Paare, Handyklingeln, Kindergeschrei, Hundegebell... Sozusagen Rummelplatz-Atmosphäre live! Fehlte nur noch der Losverkäufer gleich neben dem Asia-Stand, an dem man so tolle original Thüringer Rostbratwürste bekam.
Ich nutzte die Wartezeit und sah mir die Wahlplakate an. Auf einem sah ich eine Frau Anfang 40, geschieden, zwei Kinder, die für mehr Familienfreundlichkeit warb. Ein Herr knapp über 80 versprach mehr Perspektiven für Jugendliche. Und ein Mann mit stahlblauen Augen, einer Haut zäh wie Leder sowie einer modischen Kurzhaarfrisur forderte Jena in den Grenzen von 1937.
Ah ja, Kommunalwahl also, dachte ich bei mir und stellte fest, dass alle Wahlkampfplakate seltsam uniform aussahen: Ein Slogan, dem man fast immer vorbehaltlos zustimmen konnte (Stadionneubau jetzt! Arbeit für Alle! Schützt den Fuchsturm! Für den 4-spurigen Ausbau des Magdelstiegs! Jena den Jenaern!).
Darunter prangte dann das Konterfei des Kandidaten als großformatige Porträtaufnahme (modische Frisur, gewinnendes Lächeln, selbstbewusster Blick auf den Betrachter, die Botschaft subtil formuliert: Wähle mich! Gib mir Deine Stimme! Na los doch!)
Die auf den Plakaten abgebildeten Menschen wirkten sehr sympathisch; bedenkenlos hätte ich jeden von ihnen auf meine Katze aufpassen lassen oder während meiner Abwesenheit die Blumen gießen. Ist ja immerhin auch ein kleiner Beitrag zum Umweltschutz.
Als dann meine erste Begeisterung verebbte, setzte mein Denkvermögen wieder ein: Warum soll ich einen Kandidaten wählen, nur weil der ein Stadion bauen will, von dem kein Mensch weiß, ob wir das in absehbarer Zeit benötigen? Ich meine, in der 4. Liga kommen auch Zuschauer zu den Spielen, aber doch gewiss keine 20.000 Leute, die den FC Carl Zeiss Jena bewundern, wie er dem FC Maua-Süd ein torloses Unentschieden abtrotzt. Oder sich dem übermächtigen Gegner aus Rothenstein heldenhaft entgegenstemmt.
Oder jene Kandidatin, die in einem Jahr dreimal die Fraktion wechselt und jedes Mal stolz verkündet, nun ihre politische Heimat gefunden zu haben. Soviel Glaubwürdigkeit vertrag’ ich nicht!
Manchmal denke ich, Politiker lösen Probleme, die es gar nicht gibt und erst durch das kompetenzneutrale Wirken jener Kommunaldemokraten öffnen sich plötzlich Haushaltslöcher, die mit neuen Schulden gestopft werden. Bleibt dann noch etwas übrig, verkündet man stolz einen Bürgerhaushalt, befragt die Einwohner nach ihren Wünschen und verteilt das Geld dann doch nach Gutdünken.
Inzwischen verkürzten Mitarbeiter des ADAC die Wartezeit, in dem sie Decken und heiße Getränke austeilten. „Restposten aus der Wintersaison“, beantwortete ein Stauhelfer meinen fragenden Blick ob der Ende Mai herrschenden 30° im Schatten. Ein zugekifft wirkender Typ Mitte 50 in Bikersachen bat den Mann vom ADAC um ein Autogramm. Zu spät erkannte er, dass er sich geirrt hatte und vor ihm nicht der Sänger von AC/DC stand. Und plötzlich dämmerte ihm, weshalb er trotz regelmäßig bezahlter Mitgliedsbeiträge immer nur blöde Pannenstatistiken statt des erhofften Fan-Paketes mit der Special-Edition-DVD zugeschickt bekam.
Ging mir übrigens auch beinahe so. Das war zum Neujahrsempfang der Jenaer SPD. Ich stellte mich als Kolumnist von jenanews.de vor, musste wohl aber etwas undeutlich gesprochen haben, denn ich erntete von einer älteren Dame die giftige Antwort: „Sie sind Kommunist? Die wollen wir hier nicht!“ Perplex brauchte ich einige Sekunden, das eben gehörte zu verdauen und glaubte in jener älteren Dame eine frühere Kandidatin der Nationalen Front zu erkennen. Beinahe wehmütig dachte ich an die Zeit zurück, als Sozialdemokrat in Deutschland noch ein Schimpfwort war...

Während ich also bei geöffnetem Fenster in eine Decke gehüllt - mir die Zunge am heißen Tee verbrennend - im Auto saß, kam mir eine Idee:
Beim nächsten Mal möchte auch ich kandidieren. Es gibt da nämlich ein paar Sachen, die ich gerne umsetzen möchte:
1. Hunde, die Spielplätze bündig zukacken, werden dem nächstgelegenen Schnell-Imbiss übereignet.
2. Das Spätprogramm von JenaTV soll live aus dem Tierheim in Göschwitz senden und das nachtaktive Hermelin beim Liebesspiel filmen; unterbrochen nur von Werbespots für Tiernahrung und selbstleuchtende Hundeleinen.
3. Fußgängern, die bei Rot über die Straße gehen, werden die Schuhe weggenommen.
4. OTZ und TLZ würde ich zur OTZL fusionieren. Die tägliche Ausgabe wäre nur noch halb so dick; spannende Storys von Scheckübergaben durch Sparkassenmitarbeiter an ortsansässige Holzschuhtanzgruppen bräuchten dann nicht mehr in zwei Zeitungen zu erscheinen.
5. Alle Parkplätze in Jena wären kostenlos nutzbar. Wer dagegen verstößt, bekommt ein Ticket für die Volksmusiksendung des MDR.
6. Bockwurst-Olaf wird Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung.
Um die Wahl zu gewinnen, blende ich das Wahlvolk mit folgenden Versprechen:
1. Bau eines vierspurigen und überdachten Radweges von Zwätzen bis nach Saalfeld (wird eh’ bald eingemeindet!)
2. Bau einer Fußball-Arena mit einer Kapazität von 250.000 Zuschauern. Könnte ja sein, dass Brasilien mal in Jena spielt oder Karel Gott mit Costa Cordalis Open-Air in unserer Stadt gastiert.
3. Frauen bekommen den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen. Dies gilt auch für Arbeitslose.
4. Zugvögel werden Mitte Oktober in komfortablen Reisebussen von JenaTours gen Süden transportiert.
5. Die KulturArena findet von Januar bis Dezember statt. Dazu wird der Theatervorplatz mit einer Fußbodenheizung ausgestattet.
6. Politessen dürfen nach der Entbindung 15 Jahre im Erziehungsurlaub zu Hause bleiben.
7. 2.000,- Euro Prämie für jeden Bürger Jenas, der eine Politesse schwängert.
Also: Bürgerinnen und Bürger der Stadt Jena – wählt Hartfried Ackermann! Jetzt!
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Foto: © by Michael Ottersbach, pixelio.de