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Eine Kolumne für... den Jenaer Stadtrat

In einer geheimen Sitzung fasste der Jenaer Stadtrat am späten Montagabend einen sensationellen Dreifachbeschluss, in dessen Folge weder Flutlicht noch andere dringend sanierungsbedürftige Anlagen im Ernst-Abbe-Sportfeld nötig sind. jenanews.de-Kolumnist Hartfried Ackermann macht die Pläne öffentlich.



Das Protokoll der Stadtrats-Sitzung:

22.15 Uhr: Vor dem vollzählig anwesenden Stadtrat stellt Jenas Oberbürgermeister überrascht fest, dass es in seiner Stadt ein Fußballstadion gibt. (Bildungs- und Sozialdezernent Frank Schenker flüsternd zu seinem Chef: „Mensch Albrecht, da haste 2006 mal einen Ehrenanstoß ausführen dürfen!“) „Hm“, entsinnt sich OB Schröter, „muss vermutlich Wahlkampf gewesen sein.“ Nun fällt ihm auch wieder ein, was es mit jener kurzen Turnhose auf sich hatte, die er bei der kombinierten Kleidersammlung für Nikaragua und Rumänien im Spätherbst 2012 im Westflügel seines Schlafzimmers fand – kurzzeitig erwog er schon die Anwesenheit eines Nebenbuhlers...

22.17 Uhr: Jenas Stadtoberhaupt schreckt aus seinen Gedanken. „Also das Stadion“, beginnt er seinen Bericht zur Lage der Nation, „ das Stadion muss natürlich gerettet werden...“ (Jubelstürme aus der Südkurve des Stadtrates) „...aber kosten darf es nichts!“ (Südkurve: „Albrecht, wir wissen wo Dein Auto steht!“)

22.18 Uhr: Finanzdezernent Frank Jauch bittet um Sachlichkeit: „Der OB hat recht! Wir haben kein Geld, um den Kurzweil von Minderheiten zu fördern. Wie hieß die Sportart nochmal...? Fußball? Also wenn es um den Ausbau von Wanderstrecken ginge...“ Er verweist auf Frau Wackernagel, Jenas Stadtsportbund-Chefin, die ihm beipflichtet: „Eine aktuelle Untersuchung aus dem Jahr 1871 belegt, dass in Jena die beliebtesten Sportarten immer noch Wandern, Holzschuhtanz und Franzosenverkloppen sind.“

22.20 Uhr: Nun versteht der OB die Aufregung erst recht nicht mehr und lässt sich die Situation von KIJ-Chef Blankenburg, der auch irgendwie mit der Sache zu tun hat, erklären: „Irgendwann zogen unsere Altvorderen mit Schippe und Zwirbelbart los und vertikutierten einen Sportplatz in die Oberaue. Wenig später gründeten Menschen in Kniebundhosen einen blau-gelb-weißen Fußballverein. 110 Jahre später – also heute – wollten eine Handvoll Leute den Geburtstag ihres – ich glaube, er heißt FC Carl Zeiss Jena, aber wackernagelt mich da jetzt bloß nicht fest – Vereins feiern und da kamen sogar Menschen aus dem Ausland – Wales ist doch Ausland, oder? - aber just da wollten ganz plötzlich und völlig unvorhersehbar die Flutlichmasten einknicken...“

22.24 Uhr: Langsam wird Jenas Stadtoberhaupt ungeduldig. Missmutig schaut er auf die Uhr. „Wollte ja eigentlich noch in die Spätvorstellung der Philharmonie“, denkt er bei sich und macht die Angelegenheit zur Chefsache: „Sofort Vorschläge her und in fünf Minuten sind wir hier alle wieder raus!“

22.25 Uhr: Stadtentwicklungs- und Umweltdezernent Denis Peisker fragt, wieso ein Fußballverein ein Stadion mit Flutlicht brauche. „Die können doch auch am Tag spielen. Da scheint die Sonne, das ist kostenlos!“ Beifall aus den VIP-Logen der Koalition. „Prima“, ruft der Oberbürgermeister, „das beschließen wir jetzt!“


22.26 Uhr: Beschluss 1: Der FC Carl Zeiss Jena spielt künftig nur noch in der Zeit zwischen 8.00 Uhr und 18.00 Uhr. Im Winter sind die Zeiten entsprechend des Sonnenstandes anzupassen.

22.27 Uhr: Erbost springt FCC-Präsident Rainer Zipfel auf der Stehtribüne auf: „Habt Ihr sie noch alle? Und was ist, wenn wir den Durchmarsch in die 1. Bundesliga packen und dank russischer Oligarchen mit viel Geld auf den Caymans bald wieder im Europapokal spielen?!“
22.28 Uhr: Denis Peisker weiß Rat. Dazu muss lediglich Beschluss 1 um Beschluss 2 ergänzt werden.

Immer noch 22.28 Uhr:
Beschluss 2: Sollte es notwendig werden, dass der FC Carl Zeiss Jena Spiele auszutragen hat, die zu Zeitpunkten stattfinden, in denen nicht die Sonne scheint, so haben diese Spiele in Vollmondnächten stattzufinden. (O-Ton Peisker: „Da isses hell genug!“)

22.29 Uhr: Triumphierend blickt der OB in die Runde. „Noch irgendwelche Probleme im sogenannten Ernst-Abbe-Sportfeld?“ Keine Antwort erwartend, wendet er sich Richtung Ausgang, da grölt es aus der Südkurve des Stadtrates: „Und wo soll ich hin nach meinem fünften Apoldaer Glockenpils?“ Frank Schenker übersetzt für den OB: „Der junge Mann meint sicher die Sanitäranlagen...“ - „Vorschläge?“, ruft Schröti ungehalten in die Menge. Peter Schreiber, Ehrenspielführer des FC Carl Zeiss Jena und Kreisvorsitzender des DRK raunt ihm etwas zu, dass den OB sichtlich erfreut.

22.30 Uhr: Beschluss 3: Die sanitären Anlagen im Ernst-Abbe-Sportfeld bedürfen keiner Sanierung. Stattdessen verteilt das DRK vor jedem Heimspiel kostenlos Urinbeutel. Diese werden von den Besuchern nach dem Spiel zu Hause entleert und in eigens dafür aufzustellende Container gereinigt an das DRK zurückgegeben.

22.31 Uhr: „Sind wir jetzt endlich fertig?“, fragt Dr. Schröter in die Runde. Es räuspert sich der Chef des kommunalen Eigenverbliebs und flüstert das Unaussprechliche, das in diesem Rahmen nie zu sagende Wort: „Multifunktionsarena?“ Totenstille im Saal. „Na ihr wisst schon, das war doch die Begründung dafür, dass wir das Stadion verrotten lassen haben durften.“

22.32 Uhr: Gebannt schauen die Stadträte auf den OB. Dem schwillt die Halsschlagader. „Multi-funktions-arena? Mul-ti-funk-tions-a-re-na?! Abgelehnt! Aber das erzählen wir dem Stimmvieh erst nach der nächsten Wahl! Bis dahin denkt Euch mal ein paar Ausreden aus, warum wir diesen Multi-bla-bla-scheiß in Jena nie bauen werden! Und jetzt raus hier mit euch Bande!“

Und so setzt sich die Stadt der Wissenschaft, die Lichtstadt, die Stadt zur Welt und was immer man an lauter Unfug diesem größten aller Dörfer noch an Beinamen geben mag, ein weiteres Denkmal. Um es mit den Ärzten zu sagen: Regiert von den klügsten Männern der Welt. - Ein schönes Gefühl!

Text: Hartfried Ackermann
Fotos: Jens Mende
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