Eine Kolumne für... den 11. September

Ich schalte den Fernseher ein. RTL. Zwölfstündige Sondersendung mit Peter Kloeppel. Der Tag, der die Welt veränderte. Im Studio sitzt als Experte einer, der alles weiß, es aber meistens für sich behält. Peter Zwegat. „Herr Zwegat, wo waren Sie am 11. September 2001?“, fragt Kloeppels Peter mit Stahlhelm auf dem Kopf den Zwegat Peter im Tarnanzug. Der macht ein angestrengtes Gesicht. „Warten Sie, das war doch...“ Er kramt einen Taschenrechner aus der schlecht sitzenden Uniformjacke, tippt eine Zahlenfolge ein und antwortet: „...ja richtig, Nine-Eleven! Ich war gerade mit meinem Schuldenberater unterwegs zum Amtsgericht nach Charlottenburg, um meine Privatinsolvenz zu beantragen. Das war ein ganz schwarzer Tag für die Welt und meine Gläubiger.“
Ich schalte um auf Pro7. Fünfzehnstündige Sondersendung Galileo Spezial. Aiman Abdallah im Gespräch mit Aiman Abdallah. Studio halbdunkel. Dramatische Streichermusik aus dem Off. Kamera in rasanter Fahrt auf Aiman Abdallah in der Totalen. „Aiman“, fragt Aiman in scharfem Tonfall, „wo warst Du, als der Angriff auf das World Trade Center stattfand?“ Bildschnitt. Schnell wechselnde Filmsequenzen zeigen Aiman Abdallah abwechselnd in einer riesigen Menschenmenge, sich sichernd nach allen Seiten umsehend, dann an einer Imbissbude investigativ eine Currywurst kauend. Schließlich antwortet Aiman. Die Kamera umrundet ihn dabei im 360°-Winkel. „Ich war in Buxtehude. Wir hatten zuverlässige Informationen darüber, dass an diesem Tag etwas ganz schlimmes in der Nähe von Buxtehude geschehen würde. Vielleicht ein brennender Papierkorb oder so. Jedenfalls oberste Kategorie. Unser Informant aus Castrop-Rauxel wollte mir gerade ein geheimes Dossier übergeben, als ich von Mitarbeitern des städtischen Ordnungsamtes verhaftet wurde. Ich kam aber schnell wieder frei. Man hatte mich verwechselt.“
Derartige Hintergrund-Infos überfordern mich. Ich greife zur Fernbedienung und schalte wahllos um. ARD. Das große Herbstfest des 11. September. Stefan Mross atemlos im Gespräch mit Stefanie Hertel. Nein, bitte nicht, denke ich und entrinne nur knapp dieser Form des verbal-Terrorismus, in dem ich erneut umschalte.
JenaTV. Ein Praktikant, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, befragt Apotheker Bodo Kaibel nach dessen Rat, wie man sich im Falle eines terroristischen Angriffs auf den JenTower oder das ehemalige Arbeitsamt in Lobeda zu verhalten habe. Ich warte die Antwort gar nicht erst ab und zappe mich weiter durch die Programme. Auf Sat1 verurteilt Richterin Salesch gerade Mohammed Atta in Abwesenheit wegen gefährlichen Eingriffs in den Flugverkehr zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Zur selben Zeit begeben sich auf RTL2 zehn junge Menschen in orangefarbener Häftlingskleidung in einen Wohncontainer. Eine männliche Stimme aus dem Off begleitet sie: „Herzlich willkommen zur neuen Staffel von Big Brother – die Guantanamo-Erfahrung. Zwölf aufregende Wochen liegen vor den Kandidaten. Spannende Challenges wie Elektroschocks, Waterboarding und Schlafentzug gilt es zu überstehen...“ - Ich schalte um. Im ZDF stellt Günther Jauch mit wichtiger Mine Gottschalk, Kerner und Beckmann die eine Million Euro-Frage: „Wo war ich am 11. September 2001? A: Mit Gastritis ganztägig auf der Toilette? B: Mit Daniel Küblböck beim Promi-Kochduell bei VOX oder C: Mit Osama Bin Laden im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet?“ Ich kann nicht mehr. Ich schalte ab.
Werde nachdenklich und realisiere, dass es damals im World Trade Center eindeutig die falschen erwischt hat. Muss dringend mit Al Quaida in Kontakt treten. Wie schwer kann es sein, ein paar Flugzeuge in die Sendezentralen der Fernsehanstalten zu steuern?
Text: Hartfried Ackermann
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